Vaveyla #1


„Meine alleinige Existenz fühlte sich manchmal wie eine Sünde an.“

Nachdem ich anfing, das Leben zu hinterfragen, hatte ich nicht gedacht, dass es für mich jemals möglich sein würde, heute hier zu sein, wo ich bin.


Ich bin in einer streng muslimischen Familie aufgewachsen und hatte eine feste Vorstellung davon, wie meine Zukunft aussehen soll. Die gute Ehefrau, das reine Mädchen oder die brave Tochter sind Beispiele von dem, was ich mir selbst zugeschrieben hatte. Ich kannte keine andere Möglichkeit zu leben.


Mir wurde beigebracht, dass alles andere keine liebenswürdige alternative war. Die Rolle des braven Mädchens habe ich lange erfüllt. Vermeintlich selbstbestimmt und aus eigener Überzeugung. Es ist aber auch eine eigene Entscheidung, wenn das gegenteilige Leben nicht einmal zur Wahl steht? Dass das eine gute Lebensweise ist und alles andere dafür sorgt, dass ich unrein und nichts wert bin? Ich konnte der Rolle trotz all meiner Bemühungen nie gerecht werden. Das lag jedoch nicht an mir sondern an der Rolle die ich erfüllen sollte. Es war schlichtweg unmöglich alles so zu tun wie es erwartet war. Das musste ich aber erstmal lernen.


Ich lernte, dass ich eigentlich wie ein Lollipop sei, der wertvoll ist, wenn er eingepackt ist. Wer will schließlich ein Lollipop ohne Verpackung? So wurde mir erklärt wieso es wichtig war sich zu bedecken. 

Die Kleidung war jedoch nicht das einzige, was meinen Wert als junges Mädchen ausmachte. Mein Verhalten war auch sehr bestimmt. „Eine Frau darf nicht laut sein. Erst recht nicht laut lachen.“ Das war Sünde. Meine alleinige Existenz fühlte sich manchmal wie eine Sünde an.


Was würden denn die anderen denken, wenn sie herausfinden, dass ich mich nicht mehr bedecke? Dass ich mein Kopftuch abgelegt habe und die beigebrachten Werte nicht mehr vertrete? 

Die Fragen stellte nicht nur ich mir selbst, sondern auch meine Familie, denn plötzlich mussten alle ihre Wertvorstellungen hinterfragen. Denn keiner redet mit denen, die sich gegen diese Lebensweise stellen. Ich war aufeinmal der Typ-Frau war, der in meiner Gesellschaft verachtet wird.


Die Mehrheitsgesellschaft war für mich etwas, von der ich mich fern halten musste. Selbst wenn ich Freunde hatte die nicht muslimisch waren musste ich im Hinterkopf immer daran denken dass diese Menschen für ihre Lebensweise in die Hölle kommen. Ich hatte eigentlich nur meine streng muslimische Community. Mein Wochenende verbrachte ich in der Moschee. Wenn man dann einfängt das Leben zu hinterfragen fühlt man sich unglaublich alleine. So war es auch bei mir. Ich habe mich isoliert.


Denn in der Moschee wurde ich regelmäßig daran erinnert, dass das was ich für mein Leben möchte dafür sorgt dass Gott mich hasst. Das wurde mir nicht ins Gesicht gesagt, denn ich habe vor diesen Menschen immer noch so getan als hätte ich mich nicht verändert. Jedoch fokussieren solche Communities sehr stark auf das Verhalten von Mädchen und Frauen untereinander.  Man achtet genau darauf ob eine Frau enge Kleidung trägt, sich schminkt oder auch ob sie sich die Augenbrauen zupft. Diese Themen werden regelmäßig angesprochen. 

Ich hatte schlichtweg keine andere Wahl als mich schlecht zu fühlen und Schuldgefühle zu haben. Und zum Teil verschwinden diese auch nicht so einfach.

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